Das HWS-Miet-Pkw-Drama

von Carlos A. Gebauer

Das Schicksal der Gisela F. ist in einer Weise tragisch, daß ihr Name bereits geändert war, noch bevor die Redaktion es tun konnte.

Gisela F. hat eine Schwäche: Sie mag sportliche, schwarze Autos mit auskömmlicher Motorkraft. Mit einem solchen befuhr sie eines Tages die sanft geschwungenen, malerischen Landstraßen des Moseltales. An einer Engstelle hinter einer unübersichtlichen Kurve mußte sie wegen eines emsig werkelnden Landwirtes anhalten, um auf den Parkplatz des Landgasthofes Moselglück zu gelangen. Sekundenbruchteile später verspürte sie einen deftigen Schlag auf ihr Fahrzeugheck. Ein anderer Tourist war – von der lieblichen Architektur des Gasthauses abgelenkt – mit seinem robusten Kombi in ihr Fahrzeugheck hineingedroschen.

Die Regulierung der Schäden mit dem Versicherer des Gegners gelang zunächst flüssig. Dann allerdings schälten sich zwei neuralgische Schadenspositionen aus den allseitigen Aktendeckeln. Gisela F. nämlich erklärte zum einen, ein „Halswirbelschleudertrauma“ erlitten zu haben, im Fachjargon liebevoll genannt: HWS. Zum anderen hatte sie unbedarft das Angebot eines örtlichen Autovermieters akzeptiert, ihr schnellstens einen Ersatzwagen anzudienen. Die Preisgestaltung auf dem flugs unterzeichneten Vertrag als „Unfallersatztarif“ schien ihr besonders sinnvoll.

Die Versicherung aber mochte ein Schmerzensgeld für die unangenehmen Nackenbeschwerden nicht zahlen. Denn sie zweifelte, daß Gisela F. tatsächlich ein „HWS“ erlitten hatte. Hintergrund dieses Zweifels ist, daß in Deutschland derzeit gleichsam Folklore ist, nach Auffahrunfällen HWS-Beschwerden anzugeben. Tatsächlich ist der menschliche Rückenschmerz in etwa so unerforscht, wie das Liebesspiel pubertierender Brontosaurier. Und ob einer wirklich Schmerzen hat, läßt sich regelmäßig nicht sicher feststellen. Weder von Hausärzten, noch auch von Orthopäden, Neurologen, Radiologen oder gar Psychologen. Entweder man glaubt es, oder nicht. Die Glaubensfrage klärte auch ein 45seitges interdisziplinäres Sachverständigengutachten nicht, das von dem angerufenen Gericht eingeholt wurde. Gisela F. schulterte es mit Fassung und augenzwinkerte, vielleicht hätte man eher ein theologisches Gutachten gebraucht.

Weitaus ärgerlicher fand sie, daß die immensen Kosten für den Unfallersatz-Mietwagen ihr nur teilweise ersetzt wurden. Hier sah sie sich als das Kollateral-Opfer eines Grabenkrieges zwischen Versicherung und Vermiet-Firma. So haben Pkw-Vermieter für die Geschädigten von Pkw-Unfällen einen besonderen Tarif ersonnen. Den zeichnet aus, daß der Preis nicht mit dem Kunden verhandelt wird, sondern dem gegnerischen Haftpflichtversicherer einfach diktiert wird. Weil der Geschädigte zu Marktforschungen nicht verpflichtet ist, darf er demnach jeden Preis akzeptieren. Das freut den Vermieter, der die üblichen Preise gerne verdoppelt oder verdrei- oder vervierfacht. Erst neuerdings berichtigt die Rechtsprechung diese Art der Abrechnungstradition zu Lasten der Vermieter. Im Falle von Gisela F. wurde dergestalt berichtigt – und ihre Klage abgewiesen.

Auf dem Gerichtsgang richtete Gisela F. noch kurz einige Worte an den Mann, der wie stets mit messerscharfem Verstand, tadellosen Umgangsformen und brillanter Rhetorik für die Versicherung prozessiert hatte: „Besuchen Sie doch mal den Landgasthof Moselglück – am besten Sie fahren gleich mit Ihrem Auto hin!“

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