Warum FDP? Bekenntnisse eines liberalen Bundestagskandidaten

Ja, ich bin Mitglied der FDP. Ja, ich kandidiere bei der Wahl 2017 für den Deutschen Bundestag. Ja, ich werde selbst auch die FDP wählen. Und nein, ich werde vielleicht nicht in den Bundestag gewählt. Denn in meinem Wahlkreis gibt es auch heute noch immer mehr Sozialdemokraten als Liberale und mein Platz auf der Landesliste sieht von hinten besser aus als von vorne.

Warum alles das? Weil man die politische Agora nicht vollends für andere räumen kann. Weil Politik zu wichtig ist, um sie nur Politikern zu überlassen. Und weil es – natürlich – niemanden gibt, nicht einen einzigen, der das, was ich mache, besser machen könnte als ich selbst. Aber der Reihe nach:

Endlose Debatten habe ich in meinem Leben mit Menschen geführt, die sagten, man solle am besten überhaupt nicht wählen. In der Tat kann man diesen Standpunkt vertreten. Es ist aber nicht meiner. Denn würde niemand – wirklich niemand – außer allen derzeitigen Bundestagsabgeordneten wählen, dann bliebe das Parlament auch nach der Wahl faktisch unverändert. Mindestens dann, wenn alle sich selbst wählen.

Und weil sich unser Bundestag auch durch noch so intensives Beten aller Nichtwähler in ihren stillen, einsamen Stuben nicht aus dem Zugriff seiner Bundestagsvizepräsidentin und ihrer Kolleginnen befreien wird, bleibt nur der Gang zum Wahllokal, der Griff zum Stift und das Malen von Kreuzen, um vielleicht, vielleicht, vielleicht irgendetwas – irgendetwas – zu bewegen.

Betritt man aber den Kreis der Wähler und sucht man nach dem richtigen Platz für das eigene Kreuz, dann bleiben – jenseits lustiger Protestsymbolik durch Ausmalen des Wahlzettels, Schwärzen aller Kandidaten oder Unterstützung obskurer Miniparteien – unter realistischen Annahmen überhaupt nur diejenigen Wahlentscheidungen potentiell ergebnisrelevant, die eine erwartbar auch von anderen hinlänglich unterstützte Partei betreffen. Kurz: Einfluss auf das Gesamtwahlergebnis kann nur derjenige nehmen, der eine Partei wählt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die gesetzlichen Hürden für einen Einzug in das Parlament überwindet. Damit werden die Auswahlmöglichkeiten selten.

Es gibt nämlich nur eine einzige Partei in ganz Deutschland (wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt), die aus meiner Sicht auf allen Politikfeldern die wirklich zutreffenden Ansichten vertritt. Es ist exklusiv diese eine Partei, die alle gesellschaftlichen Fragen richtig beantwortet, deren Personal ich einschränkungslos unterstütze und deren politische Gesamtperformance ich seit vielen Jahren immer wieder mit der Note „exzellent herausragend“ bewerte. Es ist dies die – zugegebenermaßen sehr kleine – Partei, deren einziges Mitglied ich selbst wäre und die ich noch immer nicht offiziell gegründet habe. Was ich sagen will, ist: Jede Entscheidung für eine Partei ist immer ein Kompromiß. Denn in jeder Partei trifft man auf andere Menschen mit anderen Auffassungen und anderen Präferenzen. Politische Parteiarbeit und Parteiauswahl sind nichts anderes eine Suche nach der irgend größtmöglichen Übereinstimmung. Wählen heißt demnach nie, das Beste zu erküren, sondern – im Gegenteil – immer nur, das Schlechteste auszusortieren. Demokratische Wähler heben also nicht das Großartigste hervor, sondern sie versuchen, das Unsinnigste zu verhindern. Und in unseren derzeitigen Millionengesellschaften mit ihren anonymen Wählermassen ist diese Einflußnahme zusätzlich auf das Homöopathischste verdünnt. Die einzige Möglichkeit, die eigene politische Tropfenschwere in diesem Ozean auch nur irgend minimal zu erhöhen, besteht darin, nicht lediglich aktiver Wähler zu sein, sondern sich auch passiv der Wählbarkeit zu stellen. Doch dazu später.

Zunächst will ich die Frage erörtern: Wohin führt die Überlegung einer demokratischen Negativauslese am Wahltag?

Von den Parteien, die überwiegend wahrscheinlich wieder in den Bundestag einziehen werden, muß ich mir als Rheinländer über die CSU keinerlei Gedanken machen. Horst Seehofer kostet mich also überhaupt keine Überlegungszeit.

Wählbar im Rheinland ist aber die CDU. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die der CDU nahestehen. Ich kenne Menschen, die Mitglied dieser Partei sind. Ich kenne sogar Mandatsträger der CDU. Doch die vernünftigen und verantwortungsbewussten Menschen in dieser Partei sind dort derzeit in einer augenscheinlich ganz aussichtslosen Minderheit. Die bloße Tatsache, dass es dieser Partei in der jüngsten Vergangenheit trotz exzessiven Versagens ihrer Vorsitzenden auf ungezählten Politikfeldern nicht gelungen ist, sich von ihr zu trennen, belegt aktuell die schlichte Unwählbarkeit dieses Vereines. Wo parteipolitischer Zusammenhalt und Gruppenloyalität mehr wiegen als eine Kultur der Fehlerkorrektur, da liegen die Dinge im Argen. Statt alle ihre vielfach zusammengefassten Fehlleistungen hier noch einmal aufzuzählen: Alleine der mangelnde Rechtsbefolgungsgehorsam ihrer Vorsitzenden schließt aus, diese CDU zu wählen.

Gleiches gilt für die SPD. Der Kadavergehorsam, mit dem ihre Vertreter den inzwischen schon nur noch wahnhaften Eurorettungsprojekten folgen, ihre ins Gigantische ragende wirtschaftspolitische Verantwortungslosigkeit, die ungehemmte Bereitschaft, sich migrationspolitisch in Wunschträume zu flüchten, statt Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und das nicht nur klimapolitisch beobachtbare Abrücken vom rationalen, wissenschaftlichen Weltbild unseres Kontinents, all dies fügt sich in das Bild einer kritikunfähigen 100-Prozent-Martin-Schulz-Unterstützertruppe, die nach der bekannten Devise handelt: Je mehr wir uns verliefen, desto schneller gingen wir.

Was für CDU und SPD gilt, ist für Linke und Grüne natürlich nur umso zutreffender. Es reicht nicht, kein Personal zu haben, um ein fehlendes Programm durchsetzen zu können, man muß auch unfähig sein, die eigenen intellektuellen Verirrungen ohne die erzwungene Unterstützung anderer zu ertragen. Wenn es heute in Deutschland irgendwo noch Armut, Benachteiligung oder soziales Elend gibt, dann sicher nicht infolge zu geringer Umverteilung oder unzureichender Solidarität. Gesellschaftliche Probleme in Deutschland haben heute nur noch eine einzige Ursache und die heißt: Zu viel Politik. Wer Menschen die Last nimmt, ihre eigenen Entscheidungen verantworten und bisweilen über sich selbst nachdenken zu müssen, der schafft genau jene fremdalimentierten Sozialbiotope, in denen kultursensible Kochkurse auf Steuerzahlerkosten und das akademisch verordnete Binnen-I gedeihen.

Kaum ein Kenner der Berliner Szene würde doch heute noch seine Hand dafür ins Feuer legen, dass eine von der Linken mitgewählte Kanzlerin Merkel nicht auch fähig wäre, den Wiederaufbau des Palastes der Republik zur Gewissensentscheidung umzustilisieren. Wer glaubt, in sozialpädagogischen Metadatenanalysen die Realität erkennen zu können, der muß auch davon überzeugt sein, mit einem Verbot von Verbrennungsmotoren zwischen Nettetal und Görlitz den Lebensraum der Eisbären am Südpol zu retten. Kurz: Alleine die Gefahr einer Pinguinepidemie in Nordschweden nötigt, alles Wählermögliche zu tun, um eine drohend grüngestützte Merkelverlängerung zu vermeiden.

Dies führt – in der weiteren Negativauslese – nun folgerichtig zu der vorletzten Frage nach der Wahl einer gänzlichen Alternative für das deutsche Land. Kann der verbliebene Gründergeist von Joachim Starbatty reichen, um hier Gedeihliches erwarten zu dürfen?

In den vergangenen Wochen bin ich mehrfach aus dem Schlaf hochgeschreckt. Immer wieder hatte ich diesen Traum. Ich saß auf einer einsamen Insel unter einer Palme, aß eine Kokosnuss und wartete auf Hilfe. Nur Wilson sah mir zu. Plötzlich näherten sich zwei Boote. In einem erkannte ich Claudia Roth, im anderen Alice Weidel. Aus den Wolken riefen mir Margot Käsmann, Reinhard Marx und Campino zu: „Claudia weiß, wo es langgeht!“. Ich wußte es natürlich nicht. Ich weiß allerdings auch nicht, in welche Richtung Alice Weidel und Co. ihre Alternativpartei in nächster Zeit werden steuern können, wer sich dort durchsetzen wird und wer nicht. Ich weiß umgekehrt sicher, dass keine der anderen Parteien des künftigen Bundestages auch nur ansatzweise bereit sein wird, mit dieser Partei – und entwickelte sie sich noch so erfreulich – zu kooperieren.

Damit aber stiege nur wieder das Risiko, dass irgendeine machtpolitisch konstruierte Vielparteienkoalition Politik für den Einzug multikultureller Regenbogenpinguine in ein klimaneutral EU-finanziertes Staatsratsmuseum zu weiteren Steuerzahlerlasten betriebe. Und weil ich exakt das nicht will, bleibe ich seit Wochen des nachts immer wieder auf meiner Trauminsel sitzen, steige in kein Boot und warte auf einen jungen blonden Hoffnungsträger, der nicht länger zusieht, sondern mich mit einem gelb-blau-magentafarbenen Hubschrauber an neue Ufer rettet.

Natürlich ist die FDP nicht die beste Partei der Welt. Natürlich macht sie nicht alles richtig. Natürlich gibt es viel an ihr zu kritisieren. Und natürlich sehe auch ich in ihren Reihen Personal, das perspektivisch durch noch bessere Kräfte ersetzt werden kann. Doch eine nicht ganz unwesentliche Vielzahl von Menschen ist in dieser Partei wenigstens schon einmal unter der Überschrift versammelt, einen unkomplizierten Staat gestalten zu wollen. Eine nicht ganz unwesentliche Zahl von Menschen strebt dort nach einer Politik, die rechnen kann, nach Selbstbestimmtheit, nach Respekt vor der Leistung anderer und nach Freiheit als Menschenrecht für alle, weltweit. Bei aller Kritik an vielerlei scheinen mir dies Ziele zu sein, für die es sich gemeinsam zu arbeiten lohnt.

Mir ist auch klar, dass das aktuelle Wahlprogramm der FDP aus liberaler Sicht Anlass zu Kritik gibt. Wie könnte es auch anders sein? Es ist ein Werk aus vielen Händen, erdacht von vielen Köpfen und in einem gemeinsamen Prozess ausformuliert. Jeder, der daran mitgewirkt hat, muss also Passagen finden, die ihm gefallen und Passagen, die ihm nicht gefallen. Aber genau das ist ja auch die nötige Konsequenz der beschriebenen Negativauslese. Parteien sind kein Ponyhof, Politik ist kein Zuckerschlecken und Parteipolitik in Millionengesellschaften ist also erst recht kein Ponyschlecken.

Doch jeder, der den methodologischen Individualismus der österreichischen Schule verinnerlicht hat, weiß: Es gibt nicht „die“ FDP. Es gibt nur eine Vielzahl einzelner Menschen, die – ein jeder für sich – eigene Ideen davon, wie Politik gestaltet sein sollte, in einen gemeinsamen Prozess einbringen. Hält man die, die diesen Prozess zu einem bestimmten Zeitpunkt federführend gestalten, für ungeeignet oder ihr Tun für verbesserungswürdig, dann muss man sich ihnen anschließen und das ganze mit viel Geduld besser machen. Wer die meisten anderen überzeugt, der setzt sich durch. Das dauert, ist aber nicht unmöglich. Schlecht ist nur, sich ganz abzusetzen. Denn wer weggeht, der gibt alle Chancen auf Einflußnahme auf.

Ich habe – zum Vergleich – im Wesentlichen während meiner eigenen Lebenszeit beobachten können, wohin es führt, wenn alle klügeren und vernünftigeren Menschen entnervt ihre Kirche verlassen, weil dort mehr und mehr Geistlosigkeit Platz greift. Plötzlich stellt man fest, dass an der Spitze ihrer Institutionen Menschen handeln, die ebenso bewußt wie offenbar ernst gemeint das eigene Kreuz und sogar die Grammatik ablegen und unsere Erde als „Planetin“ bezeichnen. Es ist aber eine Fehlannahme, zu glauben, in einem chaotischen Kindergarten kehre alleine dadurch wieder Respekt und Friedlichkeit unter den Kleinen ein, wenn die Erzieher kopfschüttelnd nach Hause gehen. So funktioniert das nicht.

Nur wenn die, die ihr Studium zuende gebracht, die einen Beruf gelernt und ausgeübt, ihre Kostenbeiträge an die allgemeinen Kassen erbracht und Eigenverantwortung erlebt haben, nur wenn die auch auf politischer Ebene mitreden, statt dies den im Leben Unerprobten, Unerfahrenen und Gescheiterten zu überlassen, deren freizeitaffin-zeitreiche Lebensleistung im wesentlichen aus dem Nichtlesen von Referentenentwürfen besteht, nur dann kann auch ein Staat halbwegs ordentlich funktionieren. Die Inhalte und das Personal der FDP geben mir genau hier und heute noch immer mehr Hoffnung als die aller anderen Parteien, denke ich. Und wer weiß es? Am Ende wählen mich am 24. September 2017 doch noch alle zur Vernunft gekommenen örtlichen Sozialdemokraten und zusätzlich alle Nordrhein-Westfalen, die diese Zeilen hier lesen, die FDP. Dann komme ich am Ende tatsächlich in den Bundestag. Und am Ende, das weiß ja jeder, wird immer alles gut.

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